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Das Drama der Demokratie – Verfassungsblog

Das Drama der Demokratie – Verfassungsblog

Der kommenden Woche sehe ich mit einiger Aufgeregtheit entgegen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wird am Freitag mein neues Theaterstück „Ein Volksbürger“ uraufgeführt, mit Fabian Hinrichs in der Hauptrolle und unter der Regie von Nicola Hümpel von Nico and the Navigators. Es geht, wie schon beim „Volkskanzler“, um ein Szenario: Angenommen, es käme einer und gewinnt mit einer neu gegründeten Sammlungsbewegung auf den Trümmern der bestehenden Parteienlandschaft eine Landtagswahl. Angenommen, dieser neue Ministerpräsident lässt sich in seinem Bestreben, mit sich selbst identisch zu sein und dem Volk ein Spiegelbild seiner selbst hinzustellen, von Normen und Konventionen nicht einhegen. Angenommen er treibt den Konflikt mit der Bundesregierung – angenommen diese geht überhaupt in den Konflikt, statt auf Appeasement und „Dialog“ zu spielen – auf die Spitze und bis zum bitteren Ende. Was dann? Das Drama wird ab Freitag in vier Vorstellungen zu sehen sein, plus Live-Stream im Babylon-Kino am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin und im Badischen Staatstheater in Karlsruhe und Ausstrahlung auf ARTE.

Ein Theaterstück von ganz anderer, aber dann vielleicht doch gar nicht so sehr anderer Art wird Tags zuvor in Erfurt aufgeführt: Dort tritt am Donnerstag der neue Landtag zusammen. In dem die AfD als stärkster Fraktion laut Geschäftsordnung das Vorschlagsrecht für das Amt der Landtagspräsident*in zusteht. Und in Gestalt des Alterspräsidenten Jürgen Treutler die Sitzungsleitung.

Dass diese konstituierende Sitzung des neuen Thüringer Landtags im buchstäblichen Sinne zu einem Drama werden könnte, ist seit langem bekannt. Das war ja nicht zuletzt einer der Erträge unseres Thüringen-Projekts. Deshalb haben wir empfohlen,  die Geschäftsordnung rechtzeitig zu ändern, um das Missbrauchspotenzial des Alterspräsidenten bei der Wahl der neuen Landtagspräsident*in einzugrenzen. Wenn nämlich der AfD-Vorschlag keine Mehrheit findet, bestimmt der Alterspräsident darüber, wie dann verfahren wird. Er könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass die AfD solange Kandidat*innen ins Rennen schicken kann, bis ihr – oder viel wahrscheinlicher: ihren Gegnern – die Puste ausgeht. Damit hätte er zwar juristisch vermutlich Unrecht, aber das könnte er tun. Wieder und wieder, Wahlgang um Wahlgang müssten ihre Gegner ihre Kräfte zusammennehmen und die AfD-Kandidat*innen niederstimmen. Für autoritär-populistische Strategen ein Traum.

Wie gesagt: Dass es dazu kommen könnte und dass das brandgefährlich wird, war allen Beteiligten lange bekannt. Die Grünen hatten in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen, künftig, wie im Bundestag, nicht das an Lebens-, sondern das an Mandatsjahren älteste Mitglied des Landtags die konstituierende Sitzung leiten zu lassen. Dann könnte die AfD dieses Amt nicht mehr durch das Aufstellen entsprechend greiser Wahlkreis- oder Listenkandidat*innen unter ihre Kontrolle bringen. Außerdem sollte klargestellt werden, dass das Vorschlagsrecht für die Landtagspräsident*in künftig nach dem ersten Wahlgang oder sogar von vornherein nicht mehr nur die stärkste Fraktion, sondern alle ausüben können.

Dass es zu einer entsprechenden Änderung der Geschäftsordnung nicht kam, lag maßgeblich an Mario Voigt, dem vermutlich designierten Thüringer Ministerpräsidenten, und seiner CDU-Fraktion. Die hofften da wohl noch, selbst stärkste Fraktion zu werden, ganz abgesehen von ihrer generellen Unlust, sich mit Rot-Rot-Grün auf überhaupt irgendetwas, geschweige denn auf Vorbeugemaßnahmen gegen die AfD zu einigen. Das Einzige, was sie mitmachen wollten, war ein Beschluss des Ältestenrats, wie die Regelung zum Vorschlagsrecht zu verstehen ist – der aber weder den neuen Landtag noch den Alterspräsidenten rechtlich bindet.

Dass sie aktiv werden muss, hat die CDU offenbar erst jetzt erkannt, kurz vor der ersten Sitzung des neuen Landtags. Gemeinsam mit dem BSW wollen sie in dieser konstituierenden Sitzung, noch bevor der Landtag zur Wahl der neuen Präsident*in schreitet, über eine Änderung der Geschäftsordnung abstimmen lassen. Künftig, so ihr Antrag, soll es kein Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion mehr geben, sondern die Präsident*in „aus der Mitte des Landtags“ gewählt werden (so auch der Wortlaut von Art. 57 Abs. 1 der Thüringer Landesverfassung). Dafür haben sie die geschäftsführende Präsidentin des alten Landtags, Birgit Pommer von den Linken, überzeugt, die Tagesordnung kurz vor knapp noch einmal zu ändern. Dies wirft eine Fülle von Rechtsfragen auf. Die lassen sich meines Erachtens zwar ganz gut beantworten. Trotzdem werfen CDU und BSW damit der AfD noch mehr Gelegenheiten in den Schoß, auf Obstruktion zu spielen und ihre Verachtung für Parlament und Demokratie auf der Bühne des Landtags selbst mit größtmöglicher Öffentlichkeitswirkung in Szene zu setzen.

Für das Amt der Landtagspräsidentin will die AfD die Abgeordnete Wiebke Muhsal vorschlagen, eine enge Vertraute von Björn Höcke und rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt, weil sie den Anstellungsvertrag einer Mitarbeiterin vordatiert hatte, um mehr Geld von der Landtagsverwaltung zu bekommen. Jemand Unwählbareren könnte die AfD dem Landtag kaum präsentieren. Da bleibt kaum ein Zweifel möglich, was sie hier im Schilde führt. Jedenfalls kein geordneter Ablauf der Sitzung. Die, wie gesagt, von einem der Ihren geleitet werden wird, nämlich von dem bis dahin wohl auf das Sorgfältigste instruierten Alterspräsidenten Jürgen Treutler.

Dieser erklärt den Landtag für eröffnet, ernennt vorläufige Schriftführer*innen, ruft alle Abgeordneten namentlich auf und stellt die Beschlussfähigkeit fest. Dann käme, noch vor TOP 5, der Wahl der neuen Landtagspräsident*in, TOP 4: Änderung der Geschäftsordnung auf Antrag von CDU und BSW. Den müsste er jetzt zur Abstimmung stellen. Was, wenn er das nicht tut?

Bevor er keine neue Präsident*in gewählt hat, könnte er sagen, ist der neue Landtag nicht konstituiert. Womit er Recht hätte. Ohne Präsident*in, die seine Beschlüsse feststellt und seine Gesetze ausfertigt und ihnen formelle Wirksamkeit verleiht, kann der Landtag seine Gesetzgebungsarbeit nicht aufnehmen. Also, könnte er sagen, kann er erst über Anträge abstimmen, nachdem er eine Präsident*in gewählt hat. Womit er wohl Unrecht hätte: Die Geschäftsordnung ist reines parlamentarisches Binnenrecht und kein Gesetz. Sie entfaltet keinerlei Rechtswirkung nach außen. Sobald der neue Landtag zusammengetreten und beschlussfähig ist, kann er, ob mit oder ohne Präsidium, über seine Geschäftsordnung abstimmen. Das ist sein originäres Recht auf Selbstorganisation.

(Kleiner Exkurs für Feinschmecker: In Thüringen wird die Lage dadurch verkompliziert, dass dort nicht jeder neue Landtag sich als erstes die alte Geschäftsordnung als seine neue gibt, sondern dass die Fortgeltung der alten bis zum Beschluss über die neue gesetzlich angeordnet ist. Daraus könnte man schlussfolgern, dass der Landtag gesetzlich gebunden ist, erst nach seiner formellen Konstituierung über seine Geschäftsordnung zu beschließen. Das könnte man dann aber mit guten Gründen als Verletzung der Geschäftsordnungsautonomie des neuen Landtags betrachten. Wie kommt der alte Landtag dazu, den neuen per Gesetz zu irgendetwas verpflichten zu wollen? Nur, wenn man das täte – was würde daraus folgen? Bleibt das Gesetz bindend, bis es vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wird? Kann es überhaupt irgendjemand binden? Wenn nein, was soll dieses Gesetz überhaupt? Discuss!)

Also, angenommen, der Alterspräsient stellt sich zu Unrecht, aber trotzdem auf den Standpunkt, der Landtag könne nicht über die Geschäftsordnung abstimmen, solang er keine Präsident*in hat. Was dann? Dann könnten die Antragsteller gegen diese Entscheidung versuchen zu klagen. Das ist nicht ganz trivial bei Geschäftsordnungsfragen. Aber unterstellt, das ginge, was dann? Dann könnte das Landesverfassungsgericht eine Eilverfügung erlassen, notfalls binnen Stunden. Dafür müsste aber jemand die Sitzung unterbrechen. Wer? Der Alterspräsident. Wenn er das nicht tut, sondern in der Tagesordnung unbeirrt voranschreitet, was dann? Dann könnten die Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und so die Beschlussunfähigkeit herbeiführen. Aber die müsste festgestellt werden. Durch wen? Durch den Alterspräsidenten.

So kann, und ich wage mal die Prognose: wird die AfD diese erste Sitzung des neuen Thüringer Landtags nach allen Regeln der Kunst in ein Spektakel verwandeln, das den Zuschauer*innen einmal mehr den Eindruck vermittelt, den sie ihrem Publikum die ganze Zeit vermitteln will: Demokratie ist Quatsch, korrupt und kaputt, solange und soweit das „wahre Volk“ nicht permanent in ihr sein Spiegelbild erkennt. Das ist das schaurige Theater, das die AfD aufzuführen gedenkt in den nächsten fünf Jahren, beginnend diesen Donnerstag.

Dank an Juliana Talg, Friedrich Zillessen, Jannik Jaschinski, Anna-Mira Brandau, Jelena von Achenbach und anderen für wertvollen Input.

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Following three years of comprehensive research and worldwide consultations carried out against a worrying backdrop of judicial capture and polarisation in many countries, the Institute for Integrated Transitions (IFIT) has just published the Constitution Hill Global Guidelines on Apex Court Appointments (in English, Arabic, French, Spanish, Portuguese).

Join the launch webinar on 26 September from 1pm-2pm UK time with Guidelines co-conveners Mark FreemanSujit Choudhry and special guests. The webinar will consist of a 30-minute panel followed by open Q&A. Register here.

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Editor’s Pick

von EVA MARIA BREDLER

Noch nie habe ich mich auf so angenehme Weise dumm gefühlt wie nach James Bridle’s „Ways of Being“. Bridle zeigt: Intelligenz ist nichts, das man hat, sondern etwas, das man macht – gemeinsam mit anderen. Damit meint Bridle nicht etwa andere Menschen, sondern Pflanzen, Pilze, Tiere, Ökosysteme und auch Künstliche Intelligenz. Menschen waren bloß lange zu blöd, die Intelligenz dieser „more-than-human world“ überhaupt zu sehen. Schleimpilze können das Tokioter Bahnnetz schneller modellieren als Menschen, und Bienen sind uns in direkter Demokratie voraus (bei der sie tanzend abstimmen). Das ist kein Grund zur Sorge, sondern zur Hoffnung. Bridle zeigt, wie wir symbiotisch Wege aus den Krisen finden können. Wir müssen nichts erfinden, sondern uns nur aufmerksam und demütig umschauen.

James Bridle, Ways of Being: Animals, Plants, Machines: The Search for a Planetary Intelligence, Penguin Books, Paperback, 2022, 384 S., 10,99 Euro.

Für Eilige: On Being With Krista Tippett, James Bridle: The Intelligence Singing All Around Us, 2. März 2023.

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Die Woche auf dem Verfassungsblog

… zusammengefasst von EVA MARIA BREDLER

Der Angriff von Solingen bestimmt weiterhin die Innen- und Rechtspolitik. Sicherheit ist oberstes Gebot, also werden fleißig Pakete geschnürt. Die Bundesregierung verspricht „Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ sowie „der Terrorismusbekämpfung“. Doch was ist wirklich drin?

CLEMENS ARZT (DE) hat das Sicherheitspaket aufgeschnürt und ist nicht überzeugt. Die Gesetzesentwürfe ließen rationale und evidenzbasierte Antworten auf die wirkliche Bedrohungslage durch Islamismus oder „Messergewalt“ vermissen.

Mit Blick auf Grenzkontrollen und Zurückweisungen hatte FRANZ C. MAYER (ENG) bereits letzte Woche bei uns beobachtet, dass große Teile der Debatte im europarechtlichen Blindflug stattfinden und nun seinen Text in einer erweiterten Fassung auf Englisch veröffentlicht.

In den Entwürfen ist auch eine Änderung des Bundespolizeigesetzes (BPolG) versteckt. JOHANNES SIEGEL (DE) beleuchtet das „mit heißer Nadel gestrickte Polizeirecht“ und kritisiert vor allem die Befugnis in § 22 Abs. 1b BPolG n.F., jede Person in einem bestimmten Bereich zu befragen, ihren Ausweis zu prüfen oder sie zu durchsuchen. Das werde absehbar zu rassistischen Diskriminierungen führen.

Trotz aller Kritik: Seit Montag kontrolliert die Bundespolizei wieder an allen deutschen Landesgrenzen. Während sich die Bundesregierung auf den Kampf gegen irreguläre Migration und Islamismus beruft, fürchten europäische Nachbarn einen Dominoeffekt und bangen um die europäische Idee. Doch nicht nur politisch sind die Kontrollen umstritten, auch rechtlich ist mehr als zweifelhaft, ob sie zulässig sind. JANNIK LUHM (DE) hat sich die Begründung der Bundesregierung angeschaut und meint: Aus unionsrechtlicher Perspektive seien die Binnengrenzkontrollen wohl rechtswidrig.

Mit Blick auf Grenzkontrollen und Zurückweisungen hatte FRANZ C. MAYER (ENG) bereits letzte Woche bei uns beobachtet, dass große Teile der Debatte im europarechtlichen Blindflug stattfinden und nun seinen Text in einer erweiterten Fassung auf Englisch veröffentlicht.

Solingen ist dieser Tage übrigens nicht zum ersten Mal Anlass, das Asylrecht zu verschärfen. KATRIN HÖFFLER (DE) erinnert an 1993, als bei einem rechtsextremistischen Brandanschlag fünf Menschen getötet wurden. Sowohl 1993 als auch 2024 folgte nach „Solingen“ eine öffentliche Debatte, die von Angst geprägt war: Begriffe wie „Asylantenschwemme“ (1993) und „unkontrollierte Migration“ (2024) verstärkten Vorurteile und legitimierten Asylrechtsverschärfungen. Höffler warnt davor, dass solche Diskursverschiebungen und gesetzliche Reaktionen weitere Gewalt fördern könnten.

Gewalt setzt sich auch im Nahen Osten fort, mit neuen, perfiden Mitteln: Pager und Funkgeräte der Hisbollah explodierten im Libanon. Nicht nur die völkerrechtliche Seite des Angriffs, sondern auch dessen technische Dimension werden diskutiert. ITAMAR MANN (EN) nimmt die explodierenden Pager zum Anlass, um über die Rolle von High-Tech im Selbstverständnis Israels nachzudenken und schildert, dass ausgeklügelte Technik keineswegs mit moralischer Überlegenheit oder humaner Kriegsführung einhergehen muss.

Völkerrechtlich wurde auf den Israel-Gaza-Krieg nicht nur mit Anträgen des Chefanklägers beim Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auf Haftbefehle gegen Mitglieder der israelischen Regierung und der Hamas reagiert. Inzwischen liegt auch ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vor. FLORIAN JEẞBERGER und KALIKA MEHTA (EN) zeigen, wie die Feststellungen des IGH im Dialog mit dem IStGH auch für das internationale Strafrecht relevant werden können.

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Der Postmigrantische Jurist*innenbund e.V. sucht nach Mentor*innen für sein Mentoringprogramm ab Wintersemester 24/25.

Das Mentoringprogramm soll den (post)migrantischen juristischen Nachwuchs mit erfahrenen (post)migrantischen Jurist*innen für einen fachlichen und persönlichen Austausch zusammengebringen.

 Weitere Informationen zum Mentoringprogramm erhalten Sie hier: www.pmjb.de/blog/mentoring 

 Anmeldung bis Sonntag, den 29.09.2024 über folgendes Formular.

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Leider bleibt die Gefahr durch autoritären Populismus nicht nur Dauerthema in Polen, Ungarn und auch Deutschland, sondern greift international weiter um sich. Bislang eher unbemerkt plante die mexikanische Regierung einen Justizumbau, die in den Augen vieler mexikanischer Jurist:innen nicht weniger als einen Großangriff auf die Unabhängigkeit von Mexikos Justiz darstellen. Die nun verabschiedete Reform sieht unter anderem Direktwahlen von Bundesrichter:innen vor. MARIANNA VELASCO-RIVERA, IRENE PARRO PRIETO, JAIME OLAIZ-GONZALEZ und TOM GERALD DALY (EN) zeigen, wie der Justizumbau die mexikanische Demokratie gefährdet. In einem offenen Brief drücken Verfassungsjurist:innen ihre tiefe Besorgnis und Solidarität aus.

Einen besonderen Sinn für Ironie beweisen unterdessen die „Patrioten für Europa“, die genau das Gegenteil von dem wollen, was sie sich auf die Fahnen geschrieben haben. Nach den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament ist diese Partei zur drittgrößten politischen Kraft aufgestiegen. JAAP HOEKSMA (EN) analysiert ihr politisches Programm und zeigt, wie sie den progressiven Kurs der europäischen (rechtlichen) Integration umkehren wollen – Patrioten gegen Europa eben.

Als irreführend kann sich auch ein weiteres Label erweisen: „Soft Law“ klingt zwar unverbindlich. Doch der Fall Jemerak, den der EuGH am 5. September 2024 entschied, weise auf den zunehmenden Einfluss von Soft Law hin, meint  SERHII LASHYN (EN). Er beleuchtet den Fall und mahnt zu zunehmender Vorsicht, wenn Soft Law verabschiedet wird.

In K,L gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid hat der EuGH einen wichtigen Schritt in Richtung eines geschlechtersensiblen EU-Asylrechts getan, indem er den Glauben an die Gleichstellung der Geschlechter als Verfolgungsgrund anerkannte. Die Entscheidung wurde überwiegend gefeiert. SABINE MAIR (EN) kritisiert jedoch, dass die Entscheidung eine traditionsreiche Kritik am liberalen feministischen Paradigma fortsetzt.

Aus feministischer Perspektive findet HANNA WELTE (DE) auch am deutschen Mordtatbestand viel Kritikwürdiges. Wenn eine Frau von ihrem (Ex)-Partner:in getötet wird, berichten die Medien oft nicht von einem Femizid, sondern von einer „Beziehungstat“. Welte erklärt, warum das verharmlost, und fordert, ein eigenes Mordmerkmals zur Erfassung geschlechtsspezifischer tödlicher Gewalt einzuführen. Dies würde nicht nur eine angemessene Verfolgung dieser Taten sichern – sondern vor allem das gesellschaftliche Bewusstsein für diese Verbrechen schärfen.

Durchsetzungsprobleme stellen sich auch bei Rechten der Natur. Diese werden zwar immer häufiger anerkannt, zuletzt vom Landgericht Erfurt. Doch um ihre Rechte geltend machen zu können, muss die Natur vertreten werden, und das erweist sich als anspruchsvoll. MELANIE MAURER (EN) erklärt am Beispiel der österreichischen Umweltanwaltschaften, warum eine institutionalisierte Vertretung zwar nicht perfekt, aber ein guter Anfang ist.

Das Budgetrecht gilt als Königsrecht des Parlaments. Es ist eines der wichtigsten Instrumente, mit denen der Deutsche Bundestag das Regierungshandeln steuert und kontrolliert. An der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Entwurfs für den Bundeshaushalt 2025 gibt es jedoch Zweifel. Insbesondere die Höhe der im Entwurf ausgebrachten Globalansätze könnte den Haushaltsgrundsatz der Klarheit und Wahrheit verletzen, meinen TILL VALENTIN MEICKMANN und NIKLAS FREUND (DE).

Und schließlich ist unser Symposium „Das Jurastudium in der Kritik“ zu Ende gegangen, mit Texten zum Staatsexamen, zu antifaschistischen und machtkritischen Perspektiven, und zum Lüneburger Modell. Wer sich über die juristische Ausbildung ärgern möchte, findet hier reichlich Gründe – aber auch Hoffnung und Ideen, wie es anders ginge.

 

Das wär’s für diese Woche! Ihnen alles Gute

Ihr

Verfassungsblog-Team

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