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Onlinereports – Wirtschaft – Die hohle Hand beim Staat ist kein Rezept gegen die Medienkrise

Onlinereports – Wirtschaft – Die hohle Hand beim Staat ist kein Rezept gegen die Medienkrise

© Montage by OnlineReports.ch ab tamedia.ch

“Überlebens-Pragmatismus angesagt”: Printtitel-Auswahl des Tamedia-Verlags

Eine Entgegnung an BaZ-Verleger Matthias Hagemann, Verwaltungsratspräsident der “Basler Zeitung Medien”

Von Peter Knechtli

In der Schweiz schreitet die Medienkonzentration in horrendem Tempo voran. Mit Abstand markantestes Beispiel ist die kürzliche Übernahme des Westschweizer Verlagsriesen “Edipresse” durch den wuchtig expandierenden Zürcher “Tamedia”-Konzern (“Tages-Anzeiger”, “SonntagsZeitung”, “Berner Zeitung”, “20 Minuten”, “TeleZüri”), der vor zwei Jahren schon die Berner Espace Media-Gruppe einverleibte.

Man erinnert sich: Als im November 1976 die Fusion der “National-Zeitung” und der “Basler Nachrichten” zur “Basler Zeitung” bekannt wurde, erhob sich in Basel ein Sturm des Protests, der sich unter anderem in einer Demonstration “gegen Pressekonzentration und Verlegerwillkür” auf dem Barfüsserplatz und Auftritten prominenter Politiker äusserte. Wo die Citoyens und Citoyennes linker und rechter Couleur vor mehr als dreissig Jahren für Presse- und Meinungsvielfalt noch auf Strasse gingen, herrscht heute bei Übernahmen und Fusionen, von hilflosen Protest-Communiqués der Journalistenverbände abgesehen, resigniertes Sesselsitzen.

Was 1976 in Basel die Medienkonzentration einläutete, wird auch im Jahr 2009 nicht einmal die Wettbewerbskommission zu verhindern wissen: Sie wird die “Edipresse”-Übernahme durch “Tamedia” absegnen. Denn mit welcher Glaubwürdigkeit sollten die Hüter des bald nur noch in Spuren vorhandenen Medien-Wettbewerbs weniger Grosser eine wirtschaftlich motivierte “Schweizer Lösung” verhindern, wo ausländische Verlagsriesen schon mehr als ein Auge auf helvetische Verlagshäuser werfen.

 

“Vor den printlastigen Verlagshäusern
türmen sich düstere Wolken auf.”

Matthias Hagemann, Herausgeber der “Basler Zeitung” (BaZ) und Verwaltungsratspräsident der “Basler Zeitung Medien”, nahm nun dieser Tage Stellung zum “Tamedia”-Deal und zur Qualität der schweizerischen Medienpolitik. Allmählich komme man sich “als relativ unabhängiger Regionalverlag einsam vor”, “ein bisschen klein”, aber auch “ein bisschen stolz”, schreibt der BaZ-Verleger, um sich dann – ohne das Wörtchen “relativ” vor “unabhängig” – doch wieder Mut zuzusprechen: “Wer zu den letzten unabhängigen Regionalverlagen gehört, kann nicht ganz alles falsch gemacht haben.”

Nein, Matthias Hagemann, ein scharfer Analytiker, hat sicherlich “nicht ganz alles falsch” gemacht: Als einer der geistreichsten Schreiber in seinem Medienhaus hat er immer wieder klar zu Position bezogen und den Willen seines Familienunternehmens zur unternehmerischen Selbständigkeit glaubwürdig bekräftigt. Dieses Bekenntnis habe ich persönlich ihm immer als wahrhaftig abgenommen. Denn aus welchem Grund soll die Familie Hagemann ihr am Juranordfuss klar dominantes Unternehmen beispielsweise an die “Tamdia” verkaufen – wie heute fast alle wissen wollen, die es nicht wissen –, solange damit schönes Geld zu verdienen ist.

Anders sieht die Sache aber aus, wenn sich angesichts der Verschiebung der Werbegelder und der Leserströme hin zu Onlinemedien oder Pendlerzeitungen – von der allgemeinen Wirtschafts-Baisse gar nicht zu sprechen – vor printlastigen Zeitungsunternehmen zunehmend düstere Wolken auftürmen. Vielleicht hat die “Basler Zeitung” die Nase nicht rechtzeitig im Wind gehabt – ein Anspruch, der um ein Vieles leichter gefordert als umgesetzt ist.

Denn schon vor mehr als neun Jahren kam es auf dem internationalen Parkett zu einer bis dahin nicht vorstellbaren multinationalen Fusion, die den Schweizer Print-Verlegern jäh die Augen hätte öffnen müssen. Der damals junge Internet-Dienstanbieter “America Online” (AOL) übernahm zum grossen Erstaunen der Branche faktisch den Printriesen “Time Warner” (“Time”, “Life”, “Fortune”, CNN). Spätestens dieser Mega-Merger hätte als Fanal der neuen Medienentwicklung wahrgenommen werden müssen.

 

“Tageszeitungen können mit dem Tempo des Internet nicht mehr Schritt halten.”

 

In einem Kommentar im Januar 2000 hielt der Schreibende fest, dass den gedruckten Informationsmedien “ein weiterer Anpassungsschritt bevorsteht – vermutlich der einschneidenste seit Jahrzehnten. Insbesondere die Tageszeitungen vermögen mit dem Tempo des Internet nicht mehr Schritt zu halten. Sie müssen einen neuen Weg in einem neuen Entfaltungsraum finden”. So werde das Erscheinungsbild der Tageszeitung “umfangmässig abspecken, den Anspruch auf thematische Vollabdeckung aufgeben und mit kleineren, aber hochqualifizierten und motivierten Redaktionen arbeiten”.

Matthias Hagemann entgegnete damals, er halte diese Option nur “als eine mögliche Variante der Zukunft”. Weiter schrieb der BaZ-Verleger aber: “Persönlich glaube ich, dass die bedeutenderen Tageszeitungen auch in Zukunft Vollzeitungen sein werden. In den USA wird heute mehr gedruckt denn je, allen Online-Angeboten zum Trotz.”

So sehr wir es der “Basler Zeitung” und den übrigen Regional- und Kleinverlagen wünschten – ob dieser zukunftsgläubige Satz heute noch uneingeschänkt Gültigkeit hat, darf bezweifelt werden: Die “Basler Zeitung” befindet sich erst und gerade jetzt in einem äusserst heftigen Abspeck- und Transformationsprozess, der sich im Personal- und Angebotsabbau manifestiert und der noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Denn einen (physischen) Print- in einen (virtuellen) Onlinekonzern umzubauen, ist etwa dasselbe, wie einen Graureiher in einen Paradiesvogel zu verwandeln. Die Langfrist-Perspektive fehlt, die Gültigkeit von Sach- und Personalentscheiden – die kürzliche Beseitigung der BaZ-Online-Spitze belegt es – sinkt auf eine Verbindlichkeitsdauer von Wochen oder Monaten. Überlebens-Pragmatismus pur ist angesagt.

 

“Die Halbwertszeit von Entscheiden
ist im freien Fall.”

Diese Tatsache sollte ganz offen transparent gemacht werden. Doch wie in Kommunikationsabteilungen üblich, pflegt auch die “Basler Zeitung” in eigener Sache einen recht selektiven Informations-Stil: Die Verpflichtung von Manfred Messmer als Online-Strategiechef und jene von BaZ-Online-Chefredaktor Andrea Müller wurden vor weniger als einem Jahr offensiv kommuniziert – ihre diskrete Entlassung aber so gut wie möglich verschwiegen.

Ins gleiche Kapitel gehören die Beziehungen der “Basler Zeitung” zur “Tamedia”: Kämpferisch tönte es während Jahren aus der BaZ-Chefetage gegen den dynamischen Zürcher Verlag. Eindringlich warnte der BaZ-Verleger die Leserschaft (und die Inserenten) davor, dass die privaten Basler Medien dereinst von fernen Zürcher Kapitänen gesteuert werden könnten. Diese Wahrscheinlichkeit ist gewiss nicht aus der Luft gegriffen. Aber der BaZ-Präsident müsste seinem Publikum schonungslos offen begründen, weshalb sich sein Unternehmen und die “Tamedia” über mehrere strategische Kooperationen schon näher gekommen sind als nach einem ersten Tête-à-tête.

Auffälligerweise beschwört die “Basler Zeitung” die Gefahr einer Zürcher Medien-Dominanz heute nicht mehr mit der früheren Intensität. Wird die Gruppe der “Basler Zeitung Medien” bald auch von Tamedia geschluckt? Matthias Hagemann wirds nicht von Herzen wünschen – aber ausschliessen wird er es auch nicht können: Er weiss es vermutlich selbst nicht. Entscheidend dürften die nächsten ein, zwei Jahre sein.

Hagemann macht sodann für die “schwierige Lage der privaten Verlagshäuser in den vergangenen Jahrzehnten” massgeblich auch die schweizerische Medienpolitik verantwortlich: Die Zufuhr von jährlich 1,1 Milliarden Gebühren-Franken an die SRG, die Zulassung der SRG zum Werbemarkt und die Zustimmung zu Schweizer Werbefenstern auf ausländischen Privatsendern wie RTL, die jährlich ohne redaktionelle Gegenleistung 400 Millionen Franken Werbegelder über die Grenzen fliessen lassen. Hagemann plädiert deshalb für ein duales System: “Gebühren für das Staatsfernsehen, Werbung für die Privaten.”

Diese Analyse ist aus der Optik eines privten Verlegers nachvollziehbar – zumal die SRG nun auch noch versucht, ihre Online-Plattform über Werbung mitzufinanzieren, und darüber hinaus allmählich auch privatsendertaugliche Klatsch-Formate wie “Glanz&Gloria” unter dem Service public-Auftrag subsummiert.

Doch ganz uneigennützig argumentieren auch die Zeitungsverleger nicht. So beklagt Hagemann, dass die Verlagshäuser “durch die Einführung der Mehrwertsteuer getroffen” wurden, was weitere 150 Millionen Franken koste. Zudem sei den Verlegern die Vergünstigung der Posttaxen von 90 auf 30 Millionen Franken gekürzt worden. Schliesslich profitierten “bestimmte Lokalradios und alle Lokalfernsehen” vom Gebühren-Splitting.

Deutlicher als mit diesen Worten kann kaum belegt werden, dass über Jahrzehnte auch die privaten Verlagshäuser massiv von staatlichen Privilegien profitiert haben. Nun lässt sich allerdings mit Fug fragen, wie weit sich Steuer- und Posttaxen-Reduktionen mit privatwirtschaflichem Unternehmertum vereinbaren lässt in einer Zeit, da die Medienvielfalt aus Technologie- und Markt-Gründen erodiert – von vergangenen goldenen Zeiten der Zeitungsverleger gar nicht zu reden. Mit andern Worten: Die Verleger haben auch in wirtschaftlich prosperierenden Jahrzehnten die hohle Hand beim Staat gemacht. Dies erst recht, als erste Anzeichen das mögliche Ende einer bestimmten Zeitungsgattung ankündigten: Vor allem Regionalzeitungen begannen sich immer mehr anzugleichen, weil sie ihre Seiten mit identischen Agenturstoffen abfüllten und zunehmend auf die Dienste von Korrespondenten und Freien Journalisten verzichteten.

 

“Stiftungen könnten
Qualitäts-Journalismus im Internet sichern.”

Es darf in diesem Zusammenhang einmal festgehalten werden: Im Vergleich zu den meisten Medien auf dem Platz Basel bezieht OnlineReports keinen Rappen staatlicher Subvention, Vergünstigung oder (für Online-Medien gar noch nicht vorgesehenes) Gebühren-Splitting. Dies ist zwar nicht ganz so komfortabel, garantiert aber im Rahmen des bestehenden Mediensystems ein Maximum an Freiheit und Unabhängigkeit. Im Idealfall müsste sich (auch staatlich) unabhängiger Qualitäts-Journalismus auf konstant hohem Niveau marktwirtschaftlich finanzieren lassen. Derzeit lässt sich aber eine zunehmende Zahl an öffentlich mitfinanzierten elektronischen Medien feststellen, was nicht zwangsläufig im Interesse einer demokratisch verfassten Gesellschaft liegen muss.

Vermutlich ist vielen Bürgerinnen und Bürgern noch nicht klar, wo es geschlagen hat: Wenn sich die Medieninhalte immer stärker am Showbizz-, Beauty- und Promi-Barometer und seinem beliebigen Wahrheitsgehalt orientieren, während gleichzeitig die Mittel für tiefgründige Analysen und Recherchen fehlen, dann verlieren die Medien ihre fundamentale Funktion als Informations-Vermittlerin. Höchste gesellschaftliche Relevanz erlangt dann die Frage, ob Britney Spears einen Neuen hat oder der Mister Schweiz Vater – und vor allem: der richtige – geworden ist. Parallel dazu sind Tendenzen zunehmender journalistischer Aggression gegen Personen heute schon auf verschiedenen Ebenen und auch in seriösen Titeln festzustellen, wie die neue auftauchenden Kritik-Begriffe “Skandalisierung” oder “Rudel-Journalismus” belegen.

Möglichst freie Online-Medien könnten eine der Lösungen darstellen.

Wo liegt der Schlüssel der Lösung? Einfach zu finden ist er nicht. Aber am ehesten zu finden ist er bei den Informations-Konsumentinnen und -Konsumenten, die sich noch nicht auf sich selbst zurückgezogen haben und sich als Teil eines Ganzen verstehen. Sofern Kräfte der Gesellschaft und ihrer politischen Führung den gemeinschaftlichen Wert der journalistischen Leistung wieder erkennen, muss dringend über neue Finanzierungs-Modelle nachgedacht werden. Bloss beim Staat die hohle Hand zu machen, kann dabei nicht die Lösung sein. Denkbar wäre aber nach US-amerikanischem Vorbild die Bildung von Stiftungen, die unabhängigen und qualitativ anspruchsvollen Online-Journalismus ermöglichen und ihm beispielsweise jene Mittel zuführen, die ihm durch den kostenlosen Zugang im Internet entgehen.

Signale in diese Richtung sind hierzulande – anders als in den USA, wo die Debatte über die Entwicklung der Online-Medien und praktische Versuche bereits voll im Gange sind – derzeit noch nicht zu vernehmen: Werte-Erosion, Fun-Kult und “Facebook”-Demokratie werden zwar von hiesigen Protagonisten schon munter beklagt, doch unternahmen sie bisher noch nichts gegen den Gang der Dinge.

Kommentar vom 15. Januar 2000:
Schweizer Presse hat eine Chance: Mit neuer Qualität

12. März 2009



Weiterführende Links:

“Wie eine letzte Verzweiflungsfruchtbarkeit”

Ich bin soweit, dass mich die Verleger selber bald soviel dauern wie die Redaktoren und Journalisten, von denen ich seit 40 Jahren viele habe “durchlaufen sehen”. Was für ein Trümmerfeld für vorzeitig abgebrochene Karrieren! Die klassischen Printmedien hatten so etwas wie eine letzte “Verzweiflungsfruchtbarkeit” (wie in der Biologie) durchgemacht. Wir flüchten in alte Qualitätsmedien und ergänzen das Fehlende mit Online Angeboten. Der Letzte macht das Licht aus und bedient sich schnell beim Bahnhof mit einem Gratisblatt: “NZZ für die Gasse” oder so ähnlich. Bitter.

 

PS: in Frankreich war ich kürzlich morgens so gegen 10 Uhr in einem Strassenkaffee. Plötzlich realisierte ich, dass irgend etwas fehlte: Männer und Frauen, die eine Tageszeitung lasen. Still verschwunden, wie eine Vogelart.

Jean- Pierre Meylan, Basel

“Rückkehr zur Qualität dringed erforderlich”

O-Ton Matthias Hagemann: “Wer zu den letzten unabhängigen Regionalverlagen gehört, kann nicht ganz alles falsch gemacht haben.” Was Herr Hagemann – fahrlässig oder vorsätzlich – ausblendet oder verdrängt, ist, dass das Fortbestehen der Basler Zeitung als “unabhängiger Regionalverlag” ganz gewiss sicher nicht auf seinen Handlungen respektive jenen des Verwaltungsrates der letzten Jahrzehnte fusst, sondern offenkundig eine unmittelbare Folge der Fusion von 1976 ist. Denn jene Entwicklung etablierte, was der Presserat in seiner Stellungnahme Nr. 16/2001 wie folgt umschrieb: “… 2. Medien, die sich in einer lokalen Monopol- oder Quasimonopolsituation befinden, sollten sich … grosszügig zeigen, damit der Zugang zum öffentlichen Diskurs für alle möglich bleibt.” (www.presserat.ch/14750.htm). Teil auch dieses Monopols jedoch war, ist und (wie zu befürchten steht) bleibt der ideologisch motivierte selektive Umgang mit Informationen und die kongruente politische Wertung. Kurz: Genuiner, kunstvoller Journalismus – wie ihn zum Beispiel der “Spiegel”, die “Zeit” und OnlineReports praktizieren – wurde von aliberaler Interessenpolitik zerstört.

 

Was die dringend erforderliche Rückkehr zu Qualität anbelangt, so scheint mir die von Peter Knechtli thematisierte Struktur vielversprechend: “Denkbar wäre … die Bildung von Stiftungen, die unabhängigen und qualitativ anspruchsvollen Online-Journalismus ermöglichen und ihm beispielsweise jene Mittel zuführen, die ihm durch den kostenlosen Zugang im Internet entgehen.” Überdacht werden muss ebenso dringlich die staatliche Zwangsabgabe respektive – sollte man sie per se nicht abgeschaffen mögen – mindestens die rechtsgleiche Verteilung davon. Es geht in einer – wie man immer wieder hört – scheint’s liberal disponierten Gesellschaft schlicht und ergreifend nicht an, dass im europäischen Vergleich hoch dramatisch mindere Qualität zwangssubventioniert und dadurch qualitativ hochstehende Presseprodukte, die so genannte Vierte Gewalt, existenzgefährdend diskriminiert werden.

Patric C. Friedlin, Basel

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