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So gehen andere Städte mit den Folgen von Terror und Anschlägen um

So gehen andere Städte mit den Folgen von Terror und Anschlägen um

Solingen. Der Anschlag auf dem Fronhof in Solingen am 23. August, bei dem ein mutmaßlich islamischer Attentäter drei Menschen tötete und acht teils schwer verletzte, wird auch die Stadt noch sehr lange beschäftigen. Neben der politischen und juristischen Aufarbeitung stellen sich Fragen zum Gedenken: zum Beispiel zu einem Denkmal für die Opfer und zur Gestaltung des zentralen Platzes an sich. Das Tageblatt hat sich in fünf deutschen Städten, die ebenfalls von Anschlägen getroffen wurden, umgehört.

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Der Barbarossaplatz in der Würzburger Innenstadt einen Tag nach der Tat 2021. Der Anschlag wurde in und vor einem Einkaufszentrum verübt.

Würzburg

In Würzburg tötete ein somalischer Asylbewerber am 25. Juni 2021 drei Frauen mit einem Messer und verletzte fünf weitere Personen schwer, darunter Kinder. „Die Tat hat die Stadt nachhaltig erschüttert“, berichtet Georg Wagenbrenner, Sprecher der Stadt Würzburg. Vor allem die juristische Auseinandersetzung im Jahr 2022 habe noch einmal Wunden aufgerissen. Der Täter wurde schließlich nicht verurteilt, sondern in die Psychiatrie eingewiesen. 2016 hatte es bereits ein Messerattentat in einem Regionalexpress bei Würzburg gegeben. „Und vor kurzem gab es eine Messerstecherei vor einer Diskothek mit tödlichem Ausgang. Ganz unterschiedliche Sachverhalte, aber sie sorgen für eine große Verunsicherung in einer Stadt, die laut Kriminalstatistik als sehr sichere Großstadt bezeichnet werden muss“, so Wagenbrenner.

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Auch für Würzburg sei die Tat besonders traumatisch gewesen, da sie mitten im Alltag stattfand – in einem Kaufhaus am Barbarossaplatz. „Viele dachten sich: Es hätte auch mich oder meine Familie treffen können“, berichtet Wagenbrenner. Unter den Opfern war eine Mutter, die sich schützend über ihr Kind geworfen hatte, und eine Seniorin, die den Attentäter von einem weiteren Kind ablenkte. Es sei eine „Erfahrung schmerzlicher Hilflosigkeit“ gewesen – aber auch Mut und Hilfsbereitschaft blieben mit diesem Tag verbunden. Der Verein „Würzburg zeigt Herz“ und die Stadt sammelten Spenden. Couragierte Bürger, die den Attentäter aufhalten konnten, bevor die Polizei ihn stoppte, wurden geehrt. Viele Versammlungen und Initiativen haben die Tat aufgearbeitet.

„Wie gehen Alltag und würdiges Gedenken zusammen?“

Georg Wagenbrenner

Sprecher der Stadt Würzburg

Schwierig gestaltete sich das unmittelbare Gedenken. Die Tat wurde zwischen einem Kaufhaus und einem wichtigen Knotenpunkt für den Nahverkehr begangen. „Da gab es ganz praktische Fragen: Welche Wege müssen frei bleiben? Wann kann das Kaufhaus wieder öffnen? Wie gehen Alltag und würdiges Gedenken zusammen?“, sagt Georg Wagenbrenner.

Zum ersten Jahrestag gab es einen Ökumenischen Gottesdienst und ein Gedenkkonzert. Zum zweiten Jahrestag wurde am Ort der Tat eine Gedenkstele eingeweiht. Dort findet nun das jährliche Gedenken statt. Kränze werden niedergelegt, in diesem Jahr gab es Saxofon-Musik, aber keine Reden.

Gewachsen ist in Würzburg die Empathie für Städte und Menschen, die ebenfalls leidvolle Erfahrungen machen mussten. So ist in Würzburg etwa ein großes Hanau-Graffito zu sehen, das an die Opfer des dortigen Anschlags erinnert. Hanau liegt gut eine Autostunde entfernt.

Hanau 2023: Zahlreiche Menschen haben sich am Jahrestag bei einer Gedenkstunde auf dem Marktplatz eingefunden, bei der an die neun Opfer des Anschlags 2020 erinnert wurde.

Hanau 2023: Zahlreiche Menschen haben sich am Jahrestag bei einer Gedenkstunde auf dem Marktplatz eingefunden, bei der an die neun Opfer des Anschlags 2020 erinnert wurde.

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Hanau

Am 19. Februar 2020 erschoss ein deutscher Attentäter in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven und tötete danach seine Mutter und sich selbst. Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky bezeichnet das als „den schlimmsten Tag, den Hanau in Friedenszeiten erlebt hat. Dass wir uns um das Gedenken an die Opfer Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov und ihrer Familien kümmern und sie in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, stand für mich schnell außer Frage.“

Er habe noch in der Nacht geschaut, wie andere Städte damit umgegangen seien. „Leider standen immer der oder die Täter im Fokus. Wir haben direkt am Morgen nach der für uns noch unfassbaren rassistischen Tat gemeinschaftlich in Hanau dafür gesorgt, dass nicht der Täter im Mittelpunkt steht.“ Am Tag nach der Tat war die erste Botschaft #Hanaustehtzusammen. So heißt auch die Homepage, die als Kondolenzbuch und Chronik weiterhin gepflegt wird: „#Saytheirnames kam ein paar Tage danach aus der Bürgerschaft und zeigt, wie sehr wir in Hanau zusammen trauern und unser Möglichstes geben, die Tat zu verarbeiten.“

Heute stehen an den Tatorten Gedenktafeln, die an die Getöteten erinnern. Auf dem zentralen Marktplatz mit dem Nationaldenkmal der Brüder Grimm hatten Bürgerinnen und Bürger sofort nach der Tat Blumen und Kerzen im Gedenken an die Opfer abgestellt. Die Frage, wann wieder fröhliches, öffentliches Stadtleben möglich war, stellte sich in Hanau nicht direkt: Kurz nach der Tat kamen aufgrund der Corona-Pandemie weite Teile des öffentlichen Lebens zum Erliegen.

Diese Tat wird für immer zu Hanau gehören, ein Umgehen damit finden wir nur gemeinsam.

Claus Kaminsky

Oberbürgermeister von Hanau

Es gab bislang vier Gedenktage. „Wir als Stadt laden mit dem Land Hessen am Hauptfriedhof oder dem Marktplatz und immer an den Tatorten zum gemeinsamen, öffentlichen Gedenken ein. Zudem diskutieren wir über den Standort für ein Mahnmal, das wir mit den Familien in einem Wettbewerb gefunden haben“, schildert Kaminsky.

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Inhaltlich wird derzeit ein „Haus für Demokratie“ auf den Weg gebracht. Die Immobile ist erworben und liegt mitten in der Stadt zwischen den beiden Tatorten. „Diese Tat wird für immer zu Hanau gehören, ein Umgehen damit finden wir nur gemeinsam. Dazu gehört, dass wir – nach Corona – wieder gemeinsame Feste veranstalten und feiern“, erklärt Kaminsky.

Kränze zum Gedenken an Jana und Kevin, die Opfer des antisemitischen und rechtsextremen Terroranschlags 2019 in Halle (Saale) wurden.

Kränze zum Gedenken an Jana und Kevin, die Opfer des antisemitischen und rechtsextremen Terroranschlags 2019 in Halle (Saale) wurden.

Halle (Saale)

In Halle an der Saale versuchte am 9. Oktober 2019 ein deutscher Täter in die Synagoge einzudringen. Das misslang. Daraufhin erschoss er vor dem Gebäude die Passantin Jana Lange und in einem Imbiss den Gast Kevin Schwarze. „Wir haben zum ersten Jahrestag Gedenktafeln an beiden Tatorten angebracht. In Absprache mit den Angehörigen sind dort die vollständigen Namen zu lesen“, berichtet Oliver Paulsen, Grundsatzreferent der Stadt Halle (Saale).

Unmittelbar nach der Tat habe es eine große Menschenkette um die Synagoge gegeben. Um Blumen niederzulegen und Kerzen aufzustellen, habe sich die Bevölkerung „von sich aus“ den zentralen Marktplatz ausgesucht – die beiden Tatorte liegen zwar am Rand der Innenstadt, nicht aber in der Altstadt als eigentlichem Kern Halles.

Die jüdische Gemeinde sei nach wie vor eng in das Gedenken eingebunden, am zweiten Tatort sei weiterhin eine zivilgesellschaftliche Gruppe aktiv, so Oliver Paulsen. In wenigen Wochen ist der 5. Jahrestag des Anschlags. Dafür läuft eine intensive Planung mit dem Land Sachsen-Anhalt. Es wird eine Veranstaltung in der städtischen Konzerthalle mit bundespolitischer Beteiligung geben.

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Das Erinnern am zentralen Marktplatz zeigt, dass es ein prägendes Ereignis in der Stadtgeschichte war und ist.

Drago Bock

Sprecher der Stadt Halle (Saale)

Am Jahrestag selbst läuten mittags zur Tatzeit die Kirchenglocken, die Straßenbahnen stehen still und es wird auf den Anzeigetafeln an die Tat und die Opfer erinnert. Darüber hinaus setzt sich Halle mit den antisemitischen Hintergründen der Tat auseinander. Stadt und Zivilgesellschaft halten die Erinnerung an das dramatische Ereignis wach. So informiert zum Beispiel das Stadtmuseum in einer Dauerausstellung, Gruppen der Zivilgesellschaft bieten Veranstaltungen an.

Die Tat habe erhebliche Spuren hinterlassen, erklärt Stadtsprecher Drago Bock. Der damalige Oberbürgermeister habe von einer Narbe in der Stadtgeschichte gesprochen, die bleibe. Wichtig für die Stadt: Aus ganz unterschiedlichen Richtungen habe sich eine freie Gedenkkultur gebildet, das Gedenken sei breit getragen. Bock: „Das Erinnern am zentralen Marktplatz zeigt, dass es ein prägendes Ereignis in der Stadtgeschichte war und ist.“

Berlin 2023: Menschen nehmen an einem Gedenken am Mahnmal für die Opfer des islamistischen Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz teil.

Berlin 2023: Menschen nehmen an einem Gedenken am Mahnmal für die Opfer des islamistischen Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz teil.

Berlin

Ein islamistischer Terrorist steuerte am 19. Dezember 2016 einen Sattelzug in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz. 13 Menschen sterben, mindestens 67 weitere werden teils schwer verletzt. „Seit dem ersten Jahrestag hat sich ein Gedenken etabliert, das mit einer Gedenkandacht in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche beginnt. Es schließt sich eine Kranzniederlegung mit meist stillem Gedenken an den Stufen des Mahnmals an, bei dem die Namen der Getöteten verlesen werden“, so Pressesprecher Michael Ginsburg. Seit 2019 ende die Zeremonie zum damaligen Anschlagszeitpunkt um 20.02 Uhr mit 12 Glockenschlägen vom Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und einem kurzen Instrumentalsolo.

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Ende 2017 hat der Senat die Einrichtung einer „Zentralen Anlaufstelle für Betroffene von Terroranschlägen und Großschadensereignissen und deren Angehörige“ beschlossen. Sie hat im Juli 2018 ihre Arbeit aufgenommen. Außerdem stehe der Opferbeauftragte Roland Weber, der sich nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz intensiv für die Betroffenen eingesetzt habe, für die Betreuung von Opfern von Straftaten zur Verfügung.

Für den Breitscheidplatz wurde ein umfangreiches Zufahrtsschutzkonzept erarbeitet.

Michael Ginsburg

Pressesprecher der Stadt Berlin

Das Land Berlin hatte eine Arbeitsgruppe gegründet, um einen würdigen Ausdruck des Gedenkens an die Opfer am Ort des Terroranschlags zu finden. Realisiert wurde als Denkmal ein goldener Riss, 14 Meter lang und etwa drei Zentimeter breit, als Symbol für die Spaltung der Gesellschaft. Er durchzieht einen Teil des Bodens auf dem Breitscheidplatz und ist mit einer goldfarbenen Legierung aufgefüllt.

Auf der Vorderseite der Stufen vor der Gedächtniskirche ist eine Inschrift angebracht: „Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016. Für ein friedliches Miteinander aller Menschen.“ Es folgen Namen und Herkunftsländer der Todesopfer. Die Gedenkstätte wurde am ersten Jahrestag des Anschlags offiziell eingeweiht.

Als Konsequenz aus dem Attentat wurde unter anderem ein Anti-Terrorzentrum eingerichtet. „Für den Breitscheidplatz wurde ein umfangreiches Zufahrtsschutzkonzept erarbeitet“, erklärt Michael Ginsburg.

Das Kunstwerk am Erinnerungsort für die Opfer des rassistischen Anschlags in München wurde am ersten Jahrestag eingeweiht.

Das Kunstwerk am Erinnerungsort für die Opfer des rassistischen Anschlags in München wurde am ersten Jahrestag eingeweiht.

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München

Bei dem rassistisch motivierten Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) sterben am 22. Juli 2016 neun Menschen und der deutsch-iranische Attentäter. Auch in München wurde darauf geachtet, dem Täter „keine weitere Bühne zu geben und den Fokus auf die Opfer des Anschlages zu legen“, so Stadtsprecherin Gabi Vögele. München habe eine lange Geschichte rechter Anschläge und Attentate. Aus dem Anschlag am OEZ 2016 habe sich im Laufe der Zeit eine Initiative gebildet, die die Angehörigen in ihrer Trauer begleite und in ihrem Ringen um die korrekte politische Einordnung unterstütze. Die meisten der Opfer waren Muslime.

Das Ringen um die Anerkennung als rechter Anschlag hat einen besonderen Stellenwert eingenommen.

Gabi Vögele

Sprecherin der Stadt München

„Das Ringen um die Anerkennung des OEZ-Attentats als rechter Anschlag hat einen besonderen Stellenwert in der Stadtgesellschaft eingenommen“, so Vögele. Durch drei von der städtischen Fachstelle für Demokratie in Auftrag gegebene Gutachten konnte dargelegt werden, dass es sich um eine rechtsterroristische Tat gehandelt habe. Sowohl für die Angehörigen als auch für die Stadt sei die korrekte Einordnung ein wichtiges Anliegen.

Am Jahrestag des OEZ-Attentates findet eine städtische Trauerfeier statt. Es sprechen unter anderem Hinterbliebene des Münchner Attentats und anderer rassistischer Anschläge in Deutschland, darunter Halle und Hanau. Den Jahrestag gestalten maßgeblich die Angehörigen, Unterstützer und Hinterbliebenen der Opfer.

Am Ort des Anschlags wurde das Denkmal „Für Euch“ errichtet. Ein 2,50 Meter hoher Edelstahlring umschließt einen Ginkgo-Baum. Auf der Innenseite des Rings befinden sich die Namen und Porträts der neun Todesopfer. Es wurde am ersten Jahrestag am Ort des Anschlags eingeweiht.

ST

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